Die Geschichte der Ziegenhainer Straße in Homberg

Die Geschichte der Ziegenhainer Straße

Die Entwicklung der Straße

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Straße Landstraße von und nach Ziegenhain. Sie folgte dem alten Handelsweg "Durch die langen Hessen", der von Frankfurt nach Leipzig führte und besaß ausschließlich den Charakter einer Überlandstraße.
 "Vom Westheimer Tor aus zog sie sich rechtsseitig der Freiheiter Stadtmauer entlang, führte durch Äcker und Gärten in das Efzetal und von dort aus in ihrem heutigen Verlauf Richtung Ziegenhain". (HNA v. 23.2.1985)
Wie in anderen Städten setzte auch in Homberg Mitte des vergangenen Jahrhunderts erhöhte Bautätigkeit ein, die die historischen Grenzen, die alten Stadtmauern, regelrecht sprengte. Die Prosperität ließ im nördlichen Teil der Straße in wilhelminischer Bauweise gewerblich genutzte Gebäude entstehen, welche ostseitig eine nahtlose Verbindung mit der Westheimer Straße bildete. Es waren dies das Kaufhaus Höxter, das Handelshaus Rauch sowie die Schreinerei Valentin Allstadt (heutige Ziegenhainer Straße 3). Allstadt betrieb zusätzlich den Homberger Möbeltransport mit dem ersten Homberger Möbelwagen. Zwischen dem Handelhaus Rauch und der Schreinerei befand sich der Raiffeisenschuppen.

Drehscheibe 1985
Das Bild zeigt die Drehscheibe, den Beginn der Ziegenhainer Straße, im Jahre 1985. In der Mitte des Bildes ist noch das Rheika zu erkennen.

Erst im Jahre 1937 entstand der heutige Kreuzungsbereich Wallstraße/Ziegenhainer Straße, als auf Betreiben der Nationalsozialisten das jüdische Kaufhaus Höxter abgerissen ("arisiert", SIEMON, SKAMEL, 1984) wurde und so eine Verbindung nach Bad Hersfeld entstand. Im heutigen mittleren Teil der Straße, - sie wurde damals noch aufgrund ihrer Verbindung zum Homberger Bahnhof "Bahnhofstraße" genannt -, entstanden in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts mehrere repräsentative Gebäude. Das auffälligste ist wohl der rote Backsteinbau des heutigen Gymnasiums. Er wurde 1879 von der preußischen Regierung großzügig gebaut und "galt zu seiner Zeit als der modernste Bau seiner Art in Preußen" (KAISER, "Homberg in alten Ansichten"). Der Bau beherbergte das königliche Lehrerseminar.
Dem Lehrerseminar gegenüber entstand zur gleichen Zeit ein Mietshaus, in das sehr bald das Kaiserliche Postamt einzog (Ziegenhainer Straße 7, heute unterhalb der Volksbank). Die Post mietete später das Haus des Maurermeisters Bott weiter unten, in welchem sich noch heute die Poststelle befindet. In das Mietshaus Nr. 7 zog danach die Volksbank ein, welche in den 60er Jahren den Hessischen Hof (Ziegenhainer Straße Nr. 5), der bis 1967 die Homberger Klinik beherbergte, abriss und an der Stelle den heute noch existenten Neubau errichtete. Der Hessische Hof von Georg Paulstich, das erste Hotel am Platz mit Droschkenverkehr zum Homberger Bahnhof, besaß zusätzlich einen Saalanbau. Weitere Repräsentationsbauten jener Zeit sind das lange Zeit die Molkerei beherbergende Anwesen sowie das heutige Postgebäude.

Unterer Teil der Straße
Unterer Teil der Ziegenhainer Straße noch mit Litfassäule und ohne Kirchenneubau

Ende des 19. Jahrhunderts begann die Bebauung des Südteils der Straße. Hier entstanden nahezu ausschließlich dem Wohnen dienende repräsentative Villen. Eine Ausnahme bildete die 1898 im neugotischen Stil erbaute katholische Kapelle, die 1959 durch Anbauten erweitert und zum katholischen Altenwohnheim umfunktioniert wurde. Die Wohnvillen wurden in wilhelminischer Bauweise erbaut; einige zeigen bereits Elemente des Jugendstils.
Wegen seines Baustiles auffallend ist das im Südteil gelegene, im Jahre 1903 errichtete Gasthaus Gude (Ziegenhainer Straße 19). Nach damaligem Zeitgeschmack wurden in Homberg die als Gaststätten geplanten Gebäude mit Balkenkonstruktionen ausgeführt. Die Gefache wurden backsteinvermauert.
Hinter der Gaststätte  entstand im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Hombergs größter Saalbau im Jugendstil, die heutige Stadthalle.

Das damalige Gasthaus Gude mit Kegelbahn links. Dahinter befindet sich die Stadthalle, die als Theater und Konzertsaal genutzt wurde

Im Gegensatz zu den bislang aufgeführten Grundstücken und Gebäuden, die allesamt in Einzelbauweise errichtet wurden, stand die Eckbebauung Ziegenhainer Straße/Kasseler Straße. Dieser Komplex, als einziger dieser Art in Homberg, wurde 1903 als Mietshaus in Blockrandbebauung ausgeführt.

Nutzungsstruktur

Nach den bisherigen Kenntnissen ergibt sich in Bezug auf die Nutzungsstruktur der Ziegenhainer Straße um die Jahrhundertwende folgendes Schema. Es gleicht im Wesentlichen dem anderer Städte.
Nutzungsstruktur Ziegenhainer Straße
Nutzungsstruktur um die Jahrhundertwende


Erläuterung:
Kreis 1: Nordteilder Straße mit Gewerbe und Mietwohnungsbau
Kreis 2: Repräsentative, teilweise öffentliche Gebäude
Kreis 3: Überwiegend Wohnen

Bepflanzung

Unmittelbar nach dem Bau des Lehrerseminars 1879 begann Gärtnermeister Schade mit der Begrünung der Straße. Nach und nach wurden zu beiden Seiten Linden angepflanzt. Die Ziegenhainer Straße behielt diesen ihren Alleencharakter bis zur Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, ehe die Bäume, mit wenigen Ausnahmen, dem Straßenbau zum Opfer fielen.

Lehrerseminar mit noch jungen Linden; darüber der Vorgarten des heutigen Hauses Weineck.

Dass das Anpflanzen von Bäumen schon zu damaliger Zeit nicht ohne Zwistigkeiten mit Behörden verlief, zeigt nachfolgender Bericht aus der Homberger Stadtgeschichte:
"Als das Lehrerseminar 1897 erbaut worden war, erhielt der Gärtner Schade den Auftrag, vor dem Seminar in der Bahnhofstraße auf dem Bürgersteig Lindenbäume anzupflanzen. Als die Pflanzlöcher ausgehoben waren, beschwerte sich das Kreisbauamt beim Landrat über diese Maßnahme. Die Benutzung des Bürgersteiges werde beeinträchtigt, zumal abends bei der schlechten Beleuchtung sei der Bürgersteig nur unter Lebensgefahr zu passieren. Bürgermeister Winter erhielt daraufhin den Auftrag, die Arbeiten sofort einstellen zu lassen. Er berichtete jedoch an den Landrat, die Bäume seien inzwischen bereits gepflanzt. Im Übrigen halte er alle gegen die Pflanzung vorgebrachten Beschwerden für unbegründet. Nachdem danach auch der Seminardirektor Dr. Otto  nichts von den Bäumen hielt, die man ihm vor das Haus gesetzt hatte und die Regierung in der Angelegenheit bemühte, blieb allein die Obrigkeit baumfreundlich und verkündete, das Seminar sei durch die Anpflanzung der Lindenbäume in keiner Weise benachteiligt. Und was die Helligkeit am Abend angehe, so habe die Stadt inzwischen 5 Lampen aufgehängt und der gegenüberliegende Hessische Hof sich mit zwei Laternen geschmückt.
Die Bürger hatten Sinn für die Pflanzungen, sahen darin einen Schmuck für die Straße und sorgten dafür, dass später der gesamte Straßenverlauf von jungen Linden begleitet wurde". (aus KAISER, "Stadtgeschichte")

Grundstücksstruktur

Die im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs entstandenen Bauten der Gründerzeit sind als Prunkbauten reicher Innenstädter entstanden. Inmitten des Grundstückes standen sie gewöhnlich mit ihrer Längsseite zur Straße. An der nördlich orientierten Stirnseite befand sich etwas erhöht die Haustür. Eine steinerne Treppe überwand die Distanz. Hier war auch der Hof gelegen, welcher sich stellenweise bis hinter das Gebäude ausdehnte. Der sich anschließende Garten nahm in der Regel den größten Teil des Bereiches hinter dem Haus ein. Der Vorgarten schloss das Grundstück zur Straße hin ab. Nachfolgende Draufsicht verdeutlicht diese Aufteilung, wie sie für die Ziegenhainer Straße typisch war.
Grundstücksstruktur
Draufsicht, typische Aufteilung des Grundstückes

Mit Vorgärten waren auch die größeren Repräsentativbauten des mittleren Teils der Straße ausgestattet. Lediglich dem Nordteil mit seinen gewerblich genutzten Anwesen und dem Mietwohnungsbau fehlten sie. Jedoch war eine räumliche Distanz zum Gehweg durch Pflastergärtchen und Nutzstreifen vorhanden. Die Vorgärten dienten Repräsentationszwecken und sollten die gesellschaftliche Stellung der Eigentümer ablesbar machen. Sie wurden demzufolge nicht mit Hecken zur Straße hin abgegrenzt, sondern mit schmiedeeisernen Einzäunungen transparent gestaltet.
"Die Einzäunungen bürgerlicher Vorgärten der Jahrhundertwende mit ihren Lanzen aus Gusseisen verweisen noch deutlich auf das fürstliche Vorbild" (A.ATHMANN, "Stadtzerstörung durch Verkehrsberuhigung? Diplomarbeit Uni Kassel, 1982, S. 44).

Aufteilung der Straße


Die Grafik lässt auch deutlich die lineare Organisation der Straße erkennen. Deutlich ist die Einteilung in Vorgarten, Bürgersteig und Fahrbahn zu erkennen. Der Geweg ist zusätzlich dreigeteilt, in einen mit Platten ausgelegten Mittelteil, einen Streifen (zumeist wassergebundene Decke) entlang der Vorgärten sowie einem Baumstreifen zur Fahrbahn hin. Im Schnitt sah die Ziegenhainer Straße um das Jahr 1900, mit Ausnahme des Bereiches vor dem Lehrerseminar, der noch etwas anders gegliedert war, wie folgt aus:
Aufteilung der Straße
Beispielhafter Schnitt der Ziegenhainer Straße um die Jahrhundertwende


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